Volkstrauertag 2021: Gedenkstunde mit Kranzniederlegung auf dem Meeraner Friedhof

Anlässlich des Volkstrauertages 2021 fand am 14. November 2021 auf dem Friedhof Meerane eine Gedenkstunde der Stadt mit Kranzniederlegung statt. Bürgermeister Professor Dr. Lothar Ungerer begrüßte die Gäste am Ehrenmal für die Opfer des II. Weltkrieges – an den im vergangenen Jahr neu angebrachten Namenstafeln zum Gedenken der Toten der Stadt Meerane der Kriegsjahre 1939 bis 1945. „Der Volkstrauertag ist ein Tag der Erinnerung und der Besinnung: der Erinnerung an Krieg und Gewalt und des Gedenkens an die Toten. Wir verneigen uns in Trauer vor ihnen und bleiben ihnen verbunden in der dauerhaften Verpflichtung für Frieden, Freiheit, Demokratie und Menschlichkeit“, sagte er.
Der Bürgermeister informierte darüber, dass die Gedenktafeln mit insgesamt 933 Namen um eine weitere Tafel ergänzt wurden, auf der zwei nachträglich übermittelte Namen verzeichnet sind. Nach der Einweihung der Gedenktafeln zum Volkstrauertag 2020 hatte es entsprechende Hinweise von Familien gegeben, die nun aufgenommen wurden. Dies wird auch in Zukunft erfolgen, sollte es weitere Hinweise geben.

Zu Beginn seiner Ansprache zitierte der Bürgermeister Auszüge aus „Das Echolot – Barbarossa '41 –  Ein kollektives Tagebuch“ des Schriftstellers Walter Kempowski. Der 1929 in  Rostock geborene Kempowski wurde als Oberschüler gegen Kriegsende eingezogen. Später entwickelte er eine Collage-Technik, mit der er Zeitzeugenberichte, Akten und Fotos unkommentiert zusammenstellte. In seinem vielbeachteten Großprojekt „Echolot“ bildete er so den Zweiten Weltkrieg aus ganz unterschiedlichen Perspektiven ab.

Auszüge aus: Walter Kempowski, Das Echolot- Barbarossa '41- Ein kollektives Tagebuch © 2002 Albrecht Knaus Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

Sonntag, 22. Juni 1941 Der Oberstabsarzt Dr. Willi Lindenbach † 1974, Gummersbach Herrlicher Sonnenschein. [ ... ] Um 8 Uhr hörten wir im Radio, daß Deutschland Rußland den Krieg erklärt hat und daß seit heute morgen 5.03 Uhr die Kriegshandlungen begonnen haben. Wir sind alle ganz niedergeschlagen. Hitler ist ein Wahnsinniger! Was soll nur werden?

Freitag, 27. Juni 1941 Der Gefreite Reinhold Pabel * 1915, im Osten Gestern wieder einen guten Kameraden verloren[ ... ]. Der Krieg ist anders als in jedem Buch[ ... ]. Wie man am Dasein hängt, am einfachen, bloßen, nackten Da-SeinDürfen, wenn man es entrinnen sieht wie Wasser zwischen den Fingern.

Der Soldat Jakov Diorditza 1920-2000, Sowjetunion Nie werde ich diese unendlichen Kolonnen von Kriegsgefangenen auf den staubigen Wegen Rußlands unter der heißen Sonne vergessen. Viele von uns waren verwundet, die Wächter erschossen diejenigen, die nicht mehr mit marschieren konnten. [ ... ] Man warf dann die Leichen in einen Graben am Straßenrand und bedeckte sie mit Erde. Die Angehörigen würden nie erfahren, wo ihr Vater, Sohn oder Bruder begraben wurde, um ihn zu beweinen. [ ... ]

Bürgermeister Professor Dr. Ungerer: „1941, also vor 80 Jahren, wurde der 1939 von Deutschland losgetretene Krieg zum Weltkrieg. Noch vor dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 erfolgte im Mai die Besetzung Griechenlands und Jugoslawiens und im Dezember desselben Jahres erklärte das Deutsche Reich den USA den Krieg. Anders als andere europäische Kriege strebte der Zweite Weltkrieg von deutscher Seite nicht nur den Sieg über das gegnerische Militär, sondern die Vernichtung und Versklavung ganzer Völker an. Der Tod und das Elend der Zivilbevölkerung in den angegriffenen Gebieten waren kein Kollateralschaden, sondern erklärtes Kriegsziel. 60 bis 70 Millionen Menschen sind durch den zweiten Weltkrieg zu Tode gekommen. Viele weitere Millionen Menschen verloren ihre Gesundheit, ihre Angehörigen, ihre Heimat oder ihren Lebensmut – oder sie mussten bis zu zehn Jahre in Kriegsgefangenschaft aushalten. [ ... ]
Wir können das Geschehene nicht rückgängig machen und wir können es auch nicht ignorieren, relativieren oder umdeuten. Der einzige Weg, der uns bleibt, ist, dafür einzutreten, dass sich Krieg und Diktatur nicht wiederholen können. Wir müssen uns mit aller Kraft im Inneren für Demokratie und Toleranz und im Äußeren für Verständigung und Versöhnung einsetzen.
Dass uns die europäischen Nachbarn und ehemaligen Kriegsgegner die Hand der Versöhnung gereicht haben, ist ein wertvolles Geschenk, das es zu bewahren gilt. Dies erfordert, dass wir das entstandene Leid, auch das der anderen, nicht vergessen. Der Volkstrauertag steht für Gedenken und Innehalten, für Empathie und Mahnung, für Verständigung und Versöhnung. Er ist auch eine Brücke in die gemeinsame friedliche Zukunft Europas. [ ... ]
Die Sprache der Verachtung und des Hasses, der Abgrenzung gegenüber dem Anderen ist trotz aller schlimmer Erfahrungen mit dem Krieg und seinen Folgen keineswegs für immer verstummt, im Gegenteil, sie scheint gerade heute erneut an Überzeugungskraft zu gewinnen, wie ein Blick auf die politische Landkarte Europas zeigt.
Wir erleben europaweit ein Erstarken jener verhängnisvollen Ideologien und Propagandamuster, die vor einem Dreivierteljahrhundert den Kontinent beinahe in den Abgrund gerissen haben. Es ist besorgniserregend, dass wir aus den Katastrophen der Vergangenheit offenbar so wenig gelernt haben. Das dürfen wir nicht achselzuckend hinnehmen, als handle es sich um ein bedeutungsloses Versehen. 'So ist nun einmal der Gang der Dinge, die Zeiten ändern sich', heißt es dann. Solche lahmen Erklärungen sind ein idealer Nährboden für die neuen radikalen Nationalismen, gepaart mit Fremden- und Demokratiefeindlichkeit, die uns solche Sorge bereiten. Dazu gehören die schamlosen Rückgriffe auf giftige Strömungen der Vergangenheit, auf faschistische und neonazistische Gruppierungen und Parteien, die wütend alles bekämpfen, was nicht in ihr enges Weltbild passt: Andersdenkende und Menschen anderer Herkunft, Hautfarbe und auch sexueller Orientierung.“

Zum Abschluss seiner Ansprache verlas der Bürgermeister das Totengedenken 1952 von Theodor Heuss (Bundespräsident 1949 bis 1959), welches 2020 von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verändert wurde und nun ausdrücklich Geschehnisse der jüngeren Geschichte und Gegenwart in das Gedenken einbezieht, und bat die Gäste anschließend um eine Schweigeminute.


Totengedenken

Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.

Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.

Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden, Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.

Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben, und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.

Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.

Wir gedenken heute auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt Opfer geworden sind.

Wir gedenken der Opfer von Terrorismus und Extremismus, Antisemitismus und Rassismus in unserem Land.

Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten und teilen ihren Schmerz.

Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.


Mit einem Wort von Theodor Heuss schloss die Gedenkstunde: „Sorgt ihr, die ihr noch im Leben steht, dass Frieden bleibe. Friede zwischen den Menschen, Friede zwischen den Völkern."

Zur Gedenkstunde informierte der Bürgermeister über die Anbringung einer Ersatz-Namenstafel in der Gedächtnishalle Ehrenmal I. Weltkrieg auf dem Meeraner Friedhof.
Auf zwei Namenstafeln waren insgesamt 35 Namen nicht mehr lesbar. Da eine Aufarbeitung nicht mehr möglich war, wurde gegenüber der Namenstafel eine Tafel angebracht, auf der die nicht mehr lesbaren Namen verzeichnet sind.

Weiterhin teilte Professor Dr. Ungerer mit, dass die Stadt in den vergangenen zwei Jahren Recherchen zu Meeraner Euthanasie-Opfern der sogenannten T4-Aktion unternommen hat, die nun abgeschlossen wurden. Von 1940 bis 1941 wurden in Deutschland Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen systematisch ermordet, darunter 32 Meeraner Frauen und Männer. Eine Gedenktafel, die an diese Menschen erinnert, soll am 27.01.2022, dem Tag des Gedenkens der Opfer des Nationalsozialismus, auf dem Meeraner Friedhof aufgestellt werden.