Geleitwort zum 27. Januar 2019, dem Tag des Gedenkens der Opfer des Nationalsozialismus, von Professor Dr. Lothar Ungerer, Bürgermeister der Stadt Meerane

Der Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar ist im Jahr 2019 in Meerane mit einem Gedenkstein für Martin Hochmuth verknüpft. Der Gedenkstein erinnert an das Schicksal von Frauen und Männern, die während der NS-Zeit aus politischen Gründen verfolgt und ermordet wurden.

Der Gedenktag 27. Januar 1945.

Der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar ist in Deutschland seit 1996 ein bundesweiter, gesetzlich verankerter Gedenktag. Er ist als Jahrestag bezogen auf den 27. Januar 1945, den Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau und der beiden anderen Konzentrationslager Auschwitz. Auf diesen Tag legte Bundespräsident Roman Herzog erstmals im Jahr 1996 den Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus, um an alle Opfer des nationalsozialistischen Rassen- und Völkermordes und an die Millionen von Menschen zu erinnern, die durch das nationalsozialistische Regime entrechtet, verfolgt, gequält und ermordet wurden. Der Gedenktag 27. Januar will damit unterschiedslos an alle Opfer des Nationalsozialismus erinnern.

Auschwitz ist als das größte Konzentrations- und Vernichtungslager in die Geschichte der Menschheit eingegangen. Auschwitz wurde zum Ort des Holocaust, dem Völkermord an den Juden. Deshalb erklärte die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 2005 den 27. Januar auch zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.

1979 beschloss die UNESCO, das Gelände der Gedenkstätten in Auschwitz und Birkenau in die Liste des Weltkulturerbes aufzunehmen. Das Gelände ist für alle Zeiten als Mahnmal für das Martyrium der Völker erhalten. Auschwitz-Birkenau ist der Beleg des Grausamen, zu dem der Mensch in einem System fähig ist, das auf Rassismus und Hass gegenüber anderen gründet.

Der 30. Januar 1933, Machtübertragung auf die Nationalsozialisten: Ende der kommunalen Demokratie in Deutschland

Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg den Vorsitzenden der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und "Führer" der stärksten Reichstagsfraktion Adolf Hitler zum neuen Reichskanzler.

Für Hunderttausende von Deutschen war das Datum der Beginn eines unmittelbar einsetzenden Alptraumes: Ein großangelegter "Maßnahmenkatalog" schaltete sukzessive die Grundrechte und mit Gewerkschaften und Parteien auch die gesamte Opposition aus. Politisch Andersdenkende sowie Menschen, die dem NS-Rassenideal nicht entsprachen, wurden verfolgt und entrechtet und in neu errichtete Konzentrationslager verschleppt.

Die Nationalsozialisten gingen besonders antidemokratisch mit den Kommunen um. Bereits im Februar 1933 wurden alle Kommunalvertretungen zwangsweise aufgelöst. Wer dem nicht folgte, wurde vertrieben oder verhaftet. Alle Parteien wurden aufgelöst beziehungsweise verboten. Es blieb nur noch die NSDAP übrig. Das Gesetz zur Gemeindeverfassung von 1933 schaffte alle kommunalen Wahlen ab. Die Bürgermeister spielten nach dem Führerprinzip den Gemeindeleiter, er wurde nicht von den Bürgern gewählt, sondern von der NSDAP beziehungsweise von den Gauleitern und den Regierungspräsidenten ernannt. Städte und Gemeinden hatten als untere Verwaltungsbehörden die nationalsozialistische Politik auf kommunaler Ebene umzusetzen. Das Ende der im Jahr 1919 eingeführten kommunalen Demokratie.

Kommunale Demokratie 1919-1933

Dem Ende des Ersten Weltkrieges folgte 1918 in Deutschland und Sachsen das Ende der Monarchie. 1918 war klar: Deutschland soll eine Demokratie werden. Demokratische Wahlen wurden ein besonders wichtiger Teil der Politik. Am 31.07.1919 beschloss die vom Volk am 19.01.1919 gewählte Nationalversammlung in Weimar die Verfassung des Deutschen Reiches (auch Weimarer Verfassung). Sie war die erste demokratische Verfassung Deutschlands.

Die Jahre 1918/1919  führten auch auf kommunaler Ebene zu einer völligen Neuordnung. Die ersten freien Wahlen zu den Gemeindevertretungen am 26. Januar 1919 erfolgten nach einem allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Stimmrecht für alle Frauen und Männer über 20 Jahre nach dem Verhältniswahlrecht. In Folge wurde in Sachsen mit der Gemeindeordnung von 1923 bzw. der abgeänderten Gemeindeordnung von 1925 ein einheitliches Kommunalrecht für Städte und Gemeinden in Sachsen eingeführt.

Die Vertretung der Bürgerinnen und Bürger war die Stadtverordnetenversammlung. Ausführendes Organ der Stadtverordneten war der Stadtrat. Seit dem 13. August 1924 bestand der Stadtrat aus vier berufsmäßigen Mitgliedern:

  • dem Ersten Bürgermeister,
  • dem Bürgermeister und
  • zwei besoldeten Stadträten sowie
  • sieben ehrenamtlichen Mitgliedern (unbesoldete Stadträte).

Bürgermeister und Stadträte wurden durch die Stadtverordnetenversammlung gewählt.

Herr Martin (Christian) Hochmuth wurde 1927 von den Bürgerinnen und Bürgern in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. Er kandidierte auf der Liste der KPD. In den Jahren 1928 bis 1933 wurde er von der Stadtverordnetenversammlung zu einem der ehrenamtlichen (unbesoldeten) Stadträte gewählt.

Das Jahr 1933: Das Ende der kommunalen Demokratie in Meerane.

Nach dem 30.01.1933 begannen die Nationalsozialisten sofort damit, Kommunisten und die KPD in der Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Rechte zu unterdrücken. Am 22.02.1933 untersagte Reichsinnenminister Wilhelm Frick Demonstrationen der KPD in Sachsen. Nach dem Brand des Reichstages am 27.02.1933 verhafteten die Nationalsozialisten und die staatlichen Behörden (Polizei, SA und SS) in Deutschland über zehntausend politische Gegner. Grundlage war die am 28.02.1933 erlassene "Verordnung zum Schutz von Volk und Staat", die zahlreiche demokratische Rechte und Grundrechte außer Kraft setzte.

Am 16.03.1933 beantragte z. B. der Erste Bürgermeister Meeranes (Dr. Rüdiger) erfolgreich die Auflösung des demokratisch gewählten Stadtverordnetenkollegiums.

Dieser Zustand wurde mit dem so genannten „Ermächtigungsgesetz“ (Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich) vom 23.03.1933 gesetzlich. Die NSDAP-Reichsregierung unter Reichskanzler Adolf Hitler bekam durch den Reichstag die Ermächtigung, ohne Zustimmung von Reichstag und Reichsrat und ohne Gegenzeichnung des Reichspräsidenten Gesetze zu erlassen. Damit machte sich der Reichstag überflüssig; die parlamentarische Demokratie war abgeschafft. Im Reichstag stimmte allein die SPD gegen dieses Gesetz; die Abgeordneten der KPD waren aus dem Parlament bereits ausgeschlossen, da die KPD bereits verboten war.

Die Verfolgung Martin Hochmuths: Verhaftung und Tod.

Am 09. März 1933 wurde das Meeraner Rathaus durch die nationalsozialistische Glauchauer SA (Sturm-Abteilung) besetzt. Martin Hochmuth hatte als Stadtrat das Rathaus zu räumen.
Am 10. März 1933 kam es in Meerane zu umfangreichen Verhaftungen führender Vertreter der SPD und KPD. Darunter auch die Stadträte Martin Hochmuth und Emil Schleicher.
Martin (Christian) Hochmuth, von Beruf Scherer, wurde 1927 erstmals Stadtverordneter. Die Stadtverordnetenversammlung wählte ihn 1928 zum Stadtrat. Dieses Amt übte er bis zu seiner Verhaftung durch die Nationalsozialisten am 10. März 1933 aus. Er war wohnhaft in der Karlstraße 23.
Martin Hochmuth wurde am 15.09.1895 in Niedermülsen geboren.

Leidensweg und Tod im Konzentrationslager Groß-Rosen

Martin Hochmuth musste als politischer Gefangener der Nationalsozialisten Gefängnisaufenthalte ertragen, u. a. im Zwickauer „Schutzhaftlager“ Osterstein. Dort wurde er am 16.03.1933 inhaftiert.
Dazu vermerkt die Stiftung Sächsischer Gedenkstätten:
„Seit den Reichstagswahlen im März 1933 richteten die Nationalsozialisten reichsweit 60 bis 100 Konzentrationslager und über 30 „Schutzhaftabteilungen“ in Justiz- und Polizeigefängnissen ein. In ihnen waren 1933 insgesamt über 80.000 Menschen kürzere oder längere Zeit inhaftiert. Bei den Verhafteten handelte es sich ganz überwiegend um Kommunisten, Sozialdemokraten oder Gewerkschafter, darunter Landtags- und Reichstagsabgeordnete, Parteifunktionäre, Journalisten, Rechtsanwälte und Künstler. In weitaus geringerem Umfang wurden auch „Zeugen Jehovas“, Homosexuelle oder „Gewohnheitsverbrecher“ inhaftiert. Auch „asoziales Verhalten“, „Arbeitsscheu“ und „Trunksucht“ dienten als Begründung für die Verhängung von „Schutzhaft“. Formale Rechtsgrundlage für diesen außergerichtlichen Freiheitsentzug war die von Reichspräsident Paul von Hindenburg am 28. Februar 1933 erlassene „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“. Diese Verordnung setzte die Grundrechte außer Kraft.
Über zwanzig dieser frühen Lager existierten in Sachsen, die vier bedeutendsten befanden sich in Hohnstein, Sachsenburg, Colditz und Zwickau-Osterstein. Die SA, die „Sturmabteilung“ der NSDAP, richtete sie an allen erdenklichen verfügbaren Orten ein: in Turnhallen, Kasernen, alten Fabrikgebäuden, Ferienheimen, Burgen und Schlössern. Willigten die ursprünglichen Betreiber, Nutzer oder Besitzer nicht ein, wurden sie oft selbst zu den ersten Gefangenen. Im Juli 1933 waren in Sachsen rund 4.500 „Schutzhaftgefangene“ inhaftiert.“

Martín Hochmuth wurde letztlich in das Konzentrationslager Groß-Rosen deportiert.
Das Konzentrationslager Groß-Rosen wurde im August 1940 als ein Nebenlager des Konzentrationslagers Sachsenhausen eingerichtet. Die Häftlinge mussten im örtlichen Granitsteinbruch unmenschlich arbeiten. Die Arbeitsbedingungen der Häftlinge, die zur Zwangsarbeit getrieben wurden, waren katastrophal und vom Prinzip der Vernichtung durch Arbeit geleitet. Der Steinbruch gehörte der SS-Firma DEST. Die Deutschen Erd- und Steinwerke GmbH waren ein am 29. April 1938 gegründetes Unternehmen der SS, welches dem Reichsführer SS Heinrich Himmler unterstand. Die DEST war mit der Produktion von Baumaterial für „Führerbauten“ beauftragt. 

Der erste Transport von Häftlingen kam am 2. August 1940 an. Die erschöpfende 12-stündige Arbeit im Steinbruch, die Hungerration an Nahrung, das Fehlen medizinischer Betreuung, andauernde Misshandlung und Terrorisierung der Häftlinge durch die SS wie durch Funktionshäftlinge verursachten eine hohe Sterblichkeitsrate. Groß-Rosen war deshalb als eines der schlimmsten Konzentrationslager bekannt.

Am 1. Mai 1941 bekam Groß-Rosen den Status eines eigenständigen Konzentrationslagers.  
Eine starke Vergrößerung erfuhr das Lager im Jahr 1944. Durch das Lager und seine Nebenlager gingen ungefähr 125.000 Häftlinge. Die Zahl der Opfer des KL Groß-Rosen beträgt in etwa 40.000.

Im Sterbebuch des Standesamtes Groß-Rosen wurden auch die verstorbenen Häftlinge des Konzentrationslagers eingetragen. Für den 12.11.1941 ist der Name Hochmi(u)th notiert, geboren am 15.09.1895 in Niedermülsen. Martin Hochmuth erhielt die Nummer 2.849 des Totenregisters des Konzentrationslagers Groß-Rosen.

Stadtrat Martin Hochmuth engagierte sich in seiner Amtszeit vorbehaltlos für Menschlichkeit und soziale Belange. Gertraud Hochmuth und Rudolf Ziegert über Martin Hochmuth: „Oft war sein Wohnzimmer gefüllt mit Arbeitern, die vertrauensvoll ihren Bitten vorbrachten. Er half wo er nur konnte, schrieb Gesuche, erklärte geduldig. Seine besondere Fürsorge galt den Kindern.“
Mit seiner Verhaftung am 10. März 1933 erlebte die Familie Hochmuth schwerste Stunden in Meerane. Sie war völlig mittellos; Frau Hochmuth fand keine Beschäftigung. Die Kinder wurden von Mitschülern verhöhnt, verspottet und geschlagen. Nach einer kurzen Gefängnisentlassung musste er bis zu seiner Deportation in das KZ Groß-Rosen die Leidensstationen Dresden und Oranienburg ertragen. Stadtrat Martin Hochmuth starb mit 46 Jahren an den Folgen seines Leidensweges am 12.11.1941 in Groß-Rosen.

Martin Hochmuth und die Geschichte seines Gedenksteins.

Martin Hochmuth war als Mitglied der KPD eingebunden in den Widerstand der sozialistischen Arbeiterbewegung, deren Heroisierung oder gar Mythologisierung – wie zu DDR-Zeiten vorgegeben – der Lebensleistung der Menschen nicht gerecht wird. Sie hat in der Folge der Wende 1989/90 sogar dazu geführt, dass in unserer Stadt der Martin-Hochmuth-Platz in Poetenplatz umbenannt wurde. Der Gedenkstein verschwand.

Einem Zufall ist es zu verdanken, dass der Stein gefunden wurde. Herr Mirko Och entdeckte den Stein aus Lausitzer Granit im Jahr 2018 auf einem Grundstück an der ehemaligen Ziegelei. Herr Och stellte ihn sicher. Herr Stadtrat Uwe Horn (Friedhofsverwalter) informiert darüber die Stadt Meerane. Es wurde vereinbart, den Gedenkstein an seinem ursprünglichen Ort öffentlich zu präsentieren. Er ist zum Gedenktag 27. Januar 2019 wieder aufgestellt.

Zwischenbemerkung: In den Jahren 1935/36 entstand zwischen der Lessingstraße und der Gorch-Fock-Straße an der Dietrich-Eckart-Straße der Dietrich-Eckart-Platz. Mit Ende des Nationalsozialismus wurden am 31.05.1945 Umbenennungen beschlossen. Die Gorch-Fock-Straße wurde zur Emil-Schleicher-Straße, Dietrich-Eckart-Straße und Platz wurden zur Martin-Hochmuth- Straße und Platz. Der Gedenkstein für Martin Hochmuth wurde auf seinem Platz am 15.09.1968 aufgestellt. Mit Ende der DDR wurde am 09.09.1990 die Umbenennung des Martin-Hochmuth-Platzes in Poetenplatz beschlossen.

Dieser Platz sollte nun für die Poetik, die Dichtkunst stehen. Dies scheint grotesk. Da stirbt ein Mensch für die Menschen seiner Stadt. Er wird umgebracht, weil er es für sich nicht zugelassen hat, dass mit der nationalsozialistischen Ideologie etwas über die Freiheit und die Würde des einzelnen Menschen gestellt wurde. Für Martin Hochmuth war Freiheit jedoch nicht ungebunden. Freiheit hieß für ihn das jeweils Richtige, das Verantwortungsbewusste – im Sinne der Menschlichkeit – zu tun. Martin Hochmuth hat seine Menschlichkeit und Gradlinigkeit mit dem Leben bezahlt. 

Sein Tod ist kein Scheitern, sondern er weist über die Zeit hinaus. Sein Denken und Handeln ist ein Zeichen der Hoffnung und Mahnung.


Foto Martin Hochmuth: Archiv Stadt Meerane